Plädoyer für den Zweifel

von Thomas Rogalla 8.dec. 2008

Wo sind sie hin, das Z, das W, das I, das L und die anderen Buchstaben, die zusammen das Wort ZWEIFEL ergeben? In welcher Lagerhalle verstauben die sechs Meter hohen Lettern mit Neonbeleuchtung, die der norwegische Künstler Lars Ramberg im Januar 2005 auf das Dach des Palasts der Republik schraubte - und ein Fragezeichen hinter die Planungen für das Humboldt-Forum am Schlossplatz setzte? Die Installation war ein Zwischenruf zu dem selbstgewissen, geordneten, vorhersehbaren Planungsprozess zur Neugestaltung der Berliner Mitte. Abgehakt wurden dabei Asbestsanierung, Bundestags-Schlossbeschluss, Palast-„Rückbau“, Architekturwettbewerb und letzte Woche die Juryentscheidung für den Entwurf des italienischen Architekten Franco Stella.

Wie genial Rambergs Installation war, zeigt sich jetzt. Die ZWEIFEL-Buchstaben sind weg, der Zweifel aber scheint zuzunehmen. Live in einer Ausstellung Unter den Linden und virtuell im Internet (www.berliner-zeitung.de) ist jetzt zu betrachten, was geschieht, wenn die Demokratie nicht nur Bauherr, sondern Architekt sein will, wenn die Hauptstadt der Kreativen die Kreativität von Architekten und Baukünstlern aus aller Welt zwischen drei vorgegebene Fassaden einzwängt wie in einen Schraubstock.

Der Zweifel, ob dies wirklich die endgültige Lösung für Berlins wichtigsten Bauplatz ist, war nicht nur bei den Preisrichtern vorhanden. Er wächst, jedenfalls hinter vorgehaltener Hand, auch bei einigen, die Schlossbefürworter sind, jetzt aber doch grübeln, ob die Mitte Berlins von einem unbekannten, weil braven italienischen Vorruheständler gestaltet werden soll, während viele internationale Spitzenarchitekten sich auf dieses Denken in den Grenzen des 18. Jahrhunderts nicht eingelassen haben.

Es ist nichts Neues in der Planungsgeschichte Berlins, dass kritische Fragen an stadtplanerischen und architektonischen Entwürfen sich dann artikulieren, wenn die Pläne konkret und die Wettbewerbe entschieden sind. Gerade bei den wichtigsten Arealen in der Mitte Berlins fingen neue Überlegungen in diesem eigentlichen Endstadium an - obwohl es zuvor, wie beim Humboldt-Forum, ein geordnetes, demokratisches Verfahren gegeben hatte. Das war in West-Berlin so, als das Kulturforum an der Philharmonie Anfang der 80er-Jahre baulich vervollständigt werden sollte. Ein internationales Gutachterverfahren hatte 1983 einen Entwurf des Wiener Architekten Hans Hollein favorisiert, mit Kolonnaden und einem „Bibelturm“. Ein großes Quantum Zweifel und eine Simulation der geplanten Baukörper vor Ort mithilfe von Gerüsten führte dazu, dass dieser Entwurf den Realitätstest nicht bestand und nie gebaut wurde. Auch beim Holocaust-Mahnmal gab es eine Juryentscheidung - für eine 10 000 Quadratmeter große, schräge Grabplatte. Helmut Kohl, bekanntlich kein zögerlicher Typ, der aber in vielen Dingen seinem Bauchgefühl folgte, kippte den monströsen Entwurf. Und auch das Stelenfeld Eisenmans wurde erst nach langen Debatten in der dritten Version realisiert.

Es spricht nichts dagegen, wenn der Deutsche Bundestag, der dem Stella-Entwurf zustimmen muss, sich zuvor, zweifelnd, die Frage stellt: Wollen wir das wirklich so bauen? Alles spricht dafür, dass die Parlamentarier, sieben Jahre nach ihrem ersten Schlossbeschluss das fragen sollten, was sie vor jeder wichtigen Entscheidung fragen: Was sind die Alternativen?


 
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